Marmolada S-Wand „Vinatzer“
So sanft die Marmolada auf ihrer Nordseite auch aussehen mag, so gewaltig sind die Abbrüche auf ihrer Südseite: Eine nahezu 10 km breite und 800 m hohe, von unzähligen Pfeilern unterbrochene gelb-graue Wand! Alleine in ihrem Schatten zu wandern ist schon ein eindrucksvolles Erlebnis. An der Wand selbst wurde seit ihrer Erstdurchsteigung 1897 immer wieder Alpingeschichte geschrieben, vor allem da die Erschließung von Neutouren bis heute immer von unten und in der Regel ohne Bohrhaken erfolgte. Dazu kommt die stets harte (Unter-) Bewertung der Kletterführen, welche zusätzlich zum Nimbus dieses Gemäuers beiträgt. Die „Vinatzer“ war zur Zeit ihrer Erstbegehung die schwierigste Dolomitenroute und behielt diesen Ruf noch über lange Jahre. Sie verläuft bis zum Band in der Wandmitte schräg entlang einer auffälligen Kaminreihe, quert dann auf dem Band nach rechts und erreicht über eine weitere, tief eingeschnittene Kaminreihe den Gipfel etwas östlich der Punta Rocca (3309m).
Erstbegehung: Johann Babtist Vinatzer und Ettore Castiglioni; 02.-03.09.1936
Ausgangspunkt: Rifugio Falier (2074m). Links am Parkplatz der Seilbahn in Malga Ciapela vorbei, ca. 100m unterhalb rechts abbiegen zum Campingplatz (beschildert). Durch diesen hindurch und kurz dahinter auf der rechten Seite parken (Schild zum Rif. Falier). Von dort über Straße und Wanderweg (ca. 600mH, 1½ Std.). Möglich ist auch die Biwakschachtel am Ombrettapass (kein Wasser, oft überfüllt).
Zustieg: Über den markierten Wanderweg in Richtung Ombrettapass. In Fallinie der Punta Rocca weglos über Schrofengelände zu der auffälligen Nische am Beginn der großen Kaminreihe aufsteigen (1 Std.).
Einstieg: In der Nische gerade hinauf, nach 5-6 m kommt der erste Haken. Die Einstiegsvariante befindet sich ca. 20 m oberhalb der Nische an einem breiten Riss.
Länge: „Vinatzer“ bis Band 17 SL, ab Band noch einmal 11-12 SL/ 800 mH/ 11-13 Std.
Schwierigkeit: VII- (VI+/A0)
Absicherung: Im unteren Teil sind vor allem an den schwierigen Stellen ausreichend Haken vorhanden, aber auch dazwischen finden sich einige wegweisende Haken. Alle Stände sind dort eingerichtet, müssen jedoch teilweise verbessert werden. Im oberen Teil wenige Haken, nur in der letzten schwierigen Seillänge ausreichend. Auch die Standplätze sind in der Regel selbst einzurichten. Wir hatten einen kompletten Satz Friends (inkl. Größe 4) und 5-6 60 cm Schlingen, sowie Hammer und Haken dabei.
Abstieg: Über den Felsgrat zur Seilbahnstation (5 min). Davor links, die Skipiste schräg nach recht verfolgen und in einem Linksbogen zur Bergstation des vom Fedajapass kommenden (unteren) Skilifts queren. Von dort über einen breiten Weg, zunächst rechts des Lifts hinab zum Parkplatz am Fedajapass (2 Std.)
Weitere Routen: | ,,Messner-Ausstieg” (ab Band in Wandmitte), VII „Don Quixote”, VI „Via Ideale”; VII- ,,Moderne Zeiten”, VIII+ ,,Weg durch den Fisch“, IX- |
Tipp/ Planung: Nicht zu früh im Jahr einsteigen (frühestens Ende Juni), da ein großer Teil der Route in Kaminen verläuft und diese ansonsten noch nass und vereist sein können. Die letzte Seilbahn (Betriebszeiten: 9-16.30 Uhr) werden wohl nur die wenigsten erreichen, sodass man sich im Regelfalle eher auf einen Abstieg zu Fuß einstellen sollte. Daher wenigstens Turnschuhe, besser feste Zustiegsschuhe mitführen. Trotzdem ist Speedklettern Pflicht, außer man stellt sich von vornherein auf ein Biwak ein. Diese Variante ist durchaus zu empfehlen, auf dem Band in Wandmitte gibt es sehr komfortable Biwakplätze (sogar eine Biwakhöhle) und man kann dann die vielen schönen Seillängen wesentlich genussvoller klettern.
Mein Bergführer Kurt und ich trafen uns in Canazei und fuhren dann mit dem Auto nach Malga Ciapela. Dort mussten wir zu unserem größten Bedauern feststellen, dass die Seilbahn nicht mehr fuhr – das hieß, dass wir also in jedem Falle zu Fuß absteigen mussten. Wir stiegen zunächst ein Stück an der Straße entlang, dann über einen Pfad in vielen Kehren durch den Wald auf. Völlig überraschend tritt man an dessen Rand, an der Alm Malga Ombretta, ein in das liebliche Val Ombretta. Außer ein paar Kühen waren wir hier vollkommen einsam und allein der Aufstieg durch dieses Tal ist schon ein Erlebnis für sich.
Am Beginn des lieblichen Ombrettatales
Von hier aus erreichten wir nach ca. 30 min das direkt unter der Südwand gelegene Rif. Falier (2074m). Gegen 18.30 Uhr gab es Abendessen (natürlich Spaghetti) und um 20.30 Uhr lagen wir in den Betten.
Die malerische Falierhütte befindet sich direkt unter der Marmolada Südwand
Ein weiteres Highlight: In dem Wandteil direkt über der Hütte verläuft der berühmte „Weg durch den Fisch“ – auf dem Bild ist der Fisch (fischähnliche Grotte) auch gut zu erkennen
Im Hüttenbuch sind einige bekannte Namen zu lesen
Um 4 Uhr klingelt der Wecker – innerhalb kürzester Zeit trinken wir 3 Tassen Kaffee und schlingen ein paar Brote herunter, um 4.20 Uhr sind wir aufbruchsbereit. Zufällig ist in dieser Nacht Vollmond, sodass wir für den Zustieg unsere Stirnlampen auslassen und nur im silbernen Mondlicht aufsteigen. Unwillkürlich wanderte der Blick dabei immer wieder hinauf auf die alles überragende Südwand. Nach etwa einer Stunde ist der Originaleinstieg bei einer Nische erreicht. Da es noch sehr dunkel ist, wirkt er etwas gespenstisch, da der Einstiegskamin tief eingeschnitten ist und dazu noch überhängt. Um 5.15 Uhr steigt Kurt ein und ich bemühe mich, aufgrund der Länge der Tour, ihm möglichst rasch zu folgen. Der Einstiegskamin (VI-) löst sich besser auf als erwartet, allerdings ist es mit dem Rucksack schwierig, den Rücken gegen die Wand (Gegendrucktechnik) zu pressen. Man steigt nach links dem Kamin hinaus (auf vielen Topos ist der Stand direkt nach dem Kamin eingezeichnet, wir kletterten jedoch noch ein Stück weiter auf die Platte, wodurch wir die ersten 3 Seillängen in 2 Seillängen klettern konnten) und macht einen Linksschlenker zum Stand auf einer Platte. Von dort wieder nach rechts, durch einen Kamin (V-) zu einem Stand unter einem Überhang. Der Originaleinstieg bis hier hin kann auch auf einer Variante 20m weiter links davon (4 SL; V+, V-, VI, V+) umgangen werden. Nun kurz gerade hinauf und dann in einem Rechtsbogen durch den Überhang (VI+, viele Haken), nach der Kante über eine Rampe nach links zum Stand. Jetzt folgt die Route für mehrere Seillängen dem Verschneidungssystem, oftmals ist hier kräftiges Piazen entlang eines Risses angesagt, die Füße stehen dabei meist auf einer grauen Platte.
Im unteren Wandteil
Dann lehnt sich die Wand ein wenig zurück und eine kurze Linksquerung leitet in eine Rinne (III+). In zwei schönen Seillängen (VI und V+) zum Stand vor dem 2. größeren Linksquergang. Man quert dabei in einer Seillänge (IV+) ca. 50 m weit, zunächst etwas absteigend in die markante breite Rinne, die man weiter unten durch die erste Linksquerung schon einmal erreicht hat, zurück. Ein Kamin (VI) führt von hier zum nächsten Stand. Jetzt folgt eine der schönsten Längen: Zuerst an einem Riss gerade nach oben, an beiden Seiten eine von Wasserrinnen durchzogene, glatte Wand und am Ende der Seillänge eine kurze Rechtsquerung an gutgriffigen, riesigen Tropflöchern zum Stand (V+).
Eine der schönsten Längen: Gerade am Riss hinauf…
…und an wunderbar henkligen Löchern nach rechts zum Stand queren
Ein weiteres, unangenehmes Kaminsystem leitet von dort in 3 SL (VI, VI-, IV-) zum Band. Nun ist erst einmal eine kurze Rast angesagt. Wir ziehen die Kletterschuhe, essen und trinken etwas und genießen den tollen Rundblick. Das Band ist dafür auch wirklich komfortabel, es weist sicherlich eine Breite von 5-6 m auf. Da meine Fußballen an dieser Stelle schon sehr stark schmerzen (man steht oft auf Reibungstritten), beschließe ich nicht wie geplant über den „Messner-Ausstieg“, der von hier ab permanent über Platten verläuft auszusteigen, sondern die „Vinatzer“-Route weiterzuverfolgen, die sich auch im oberen Teil vor allem an Verschneidungen und Rinnen orientiert. Der obere Teil der „Vinatzer“ startet ca. 60 m rechts vom unteren Teil, genau dort, wo der über das Band überhängende Wulst endet. In den nun folgenden, leichten Seillängen (III), die in einer Art Kanonenrohr verliefen, konnten wir sehr schnell Höhenmeter machen, indem Kurt jedes mal die vollen 60m Seil ausging – Zwischensicherungen finden sich hier zwar fast keine, sind jedoch auch nicht nötig bzw. selbst gut zu legen. Allerdings wurde das Gelände, je höher wir kamen umso brüchiger. Immer wieder waren eingeklemmte Blöcke mit fragwürdiger Haltbarkeit zu überklettern, was es gerade für mich als Nachsteiger sehr unangenehm werden ließ.
Im oberen Wandteil. Die Kletterei erinnert etwas an ein Kanonenrohr
Nach einigen Seillängen erreicht man einen schon von weitem sichtbaren, dunkelgelben Pfeiler von dem Y-förmig zwei Kamine nach links und rechts wegführen. Die originale „Vinatzer“ verläuft nach links. Dies sieht jedoch nicht gerade verlockend aus: Tief eingeschnittene Kamine, laut Führer auch oft vereist und wohl recht selten begangen. Wir wählten die „Stenico“-Variante über den rechten Kamin. Nach 2-3 mittelschweren Seillängen erreichen wir die letzte Schlüßelstelle: Ein steiler, teilweise überhängender, brüchiger Riss. Anstrengend ging es mit zunehmend müderen Armen über diesen hinauf (VI+, einige Haken). Danach führten 3 leichte Seillängen, zuletzt durch einen großen Kessel zum Gipfelgrat, den man am ersten Aufschwung von der Seilbahnstation aus gesehen erreicht.
Zuletzt geht es noch einmal in einen großen Kessel, hier am Übergang in selbigen
Es war nun 17.45 Uhr – mit der Seilbahnfahrt wäre es also sowieso nichts mehr geworden. Wir gönnten uns noch zur Stärkung ein großes Stück Käse und den letzten Schluck aus meiner Flasche, dann begannen wir den Abstieg: Zunächst über den Grat zur Seilbahnstation, dann über den Gletscher in einem Rechtsbogen immer der Skipiste folgend entlang. Gerade im oberen Teil muss dabei auf Spalten geachtet werden. Wir verließen den Gletscher in einer Linksschleife, die uns über lose Blöcke (Achtung, darunter ist noch Eis) zum Skilift brachte. Von dort ging es über einen breiten Weg (zunächst rechts des Lift halten) im zick-zack zum Parkplatz am Fedajapass (2057m), den wir um 19.20 Uhr erreichten.
Die Civetta im letzten Abendlicht
0 Comments