Tofana – „Pilastro“
Interessanterweise wird der Gipfel der Tofana di Rozes von Kletterern wohl nur sehr selten besucht. Dies aber nicht etwa, weil es an entsprechenden Routen mangeln würde – nein, vielmehr bieten die drei etwas vorgelagerten Südpfeiler einen solch gewaltigen Klettergarten der Extraklasse, dass der Gipfel automatisch zur Nebensache wird. Der mittlere der drei Pfeiler ist dabei der wuchtigste und markanteste und ragt fast schon herausfordernd über dem Rif. Dibona auf. Ausgerechnet durch diesen Pfeiler führt in idealster Linienführung die Route „Pilastro“ mitten hindurch, wobei sie sämtliche Schwachstellen im Fels in geschickter Art und Weise miteinander zu einer eindrucksvollen Gesamtkomposition verknüpft. Besonderes Highlight sind natürlich die beiden Dächer, wobei aber auch der Rest der Route durchweg großes Klettervergnügen in wunderbar festem Fels bietet. Eine Tour, die jeder, der den Schwierigkeitsgrad beherrscht, einmal gemacht haben sollte!
Mein Bergführer Simon Gietl, den ich an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen möchte, und ich trafen gegen 6:15 Uhr mit dem Auto am großen Parkplatz des Rif. Dibona ein. Über einen breiten, einfachen Wanderweg geht es in 30-40 min zum Einstieg, wobei der Pfeiler die ganze Zeit über einem thront und man die Route schon gut studieren kann. Um 7 Uhr nehmen wir die Einstiegsverschneidung in Angriff. Diese beginnt im fünften und endet im vierten Grad – genau richtig zum Warmwerden!
Die 2. SL ist nicht ganz klar vom Verlauf, sie ist eine der wenigen Längen, die nicht einer natürlichen Linie folgen. Hier ca. 5m gerade hinauf zu einem Haken, dann schräg nach rechts oben zu einem weiteren Haken und weiter zunächst schräg rechts aufwärts, dann waagerecht nach rechts queren bis zu einem Stand am Beginn des Risssystems, da zu den Dächern im Mittelteil leitet. Auch diese Länge bewegt sich im fünften Grad, wobei ich an einer Stelle in der Mitte mal kurz etwas fester zupacken muss.
Die 3. SL bewegt sich dann im Risssystem und startet erst mal recht einfach (IV), steigert sich dann aber und endet mit der Überwindung eines Dächleins, die mir gar nicht mal so leicht fiel (VI-). Die nächsten beiden SL fassen wir zusammen, was sich sehr gut machen lässt. Sie lassen sich sehr genussvoll klettern (zunächst V+, dann immer leichter werdend) – für mich die schönste Passage der ganzen Tour.
Die 6. SL führt an einer absoluten Kuriosität entlang – einem tiefen Loch inmitten des Pfeilers, das auch erst beim Erreichen desselbigen sichtbar wird – und endet auf dem ersten Band, das ich mir deutlich ausgeprägter vorgestellt hatte. Mit SL 7 erreichen wir nun den gelben Felsteil, die Dächer sind nun in greifbare Nähe gerückt.
Einmal mehr ergreift mich größter Respekt vor den Erstbegehern, die hier mit einer aus heutiger Sicht haarsträubenden Ausrüstung durch sind – die Dächer sind schon respekteinflößend, das erste Dach ragt sicher 2-3 m über und auch beim zweiten Dach sind es bestimmt noch einmal 1,5-2 m. Simon fasst die kurze Länge vor dem ersten Dach und die eigentliche Dachseillänge zusammen (was im Prinzip gut machbar ist, da die letzten Meter vor dem Dach relativ einfach sind und man noch einmal gut ausschütteln kann) und steigt souverän über das Dach.
Das Dach selbst hat genug Haken, sodass man sich A0 gut hinaufschummeln kann, ich versuche es frei, muss mich dann an der Kante doch ein Mal ins Seil setzen. Der Fels ist hier leider schon sehr abgespeckt und auch der einzige Tritt auf der linken Seite glänzt bereits, daher würde ich die Länge mittlerweile mit VIII- bewerten und nicht mehr mit VII+ wie in vielen Führern angegeben. Kurz oberhalb des Daches kann man dann auf einem erstaunlich guten Stand erst mal durchschnaufen. Den gelben Teil zwischen den Dächern kann man gut zu einer Seillänge zusammenfassen, theoretisch wäre auch ein Zwischenstand möglich. Die Länge beginnt noch recht dankbar, wird aber zum Ende hin immer anspruchsvoller und saugt ordentlich Kraftausdauer.
Es folgt das zweite Dach, welches ich deutlich unangenehmer zu klettern fand als das erste, vor allem auch weil schon die Meter vor dem Dach sehr anspruchsvoll sind. Auch hier ist wieder alles sehr abgespeckt und man muss insbesondere aufpassen, dass einem die Füße nicht wegrutschen (aus diesem Grund würde ich analog zum ersten Dach die Bewertung bei VII+ und nicht wie in den meisten Führern bei VII sehen). Beim Dach selbst muss man mit beiden Händen in einen Untergriff kommen, sich dann auf wenigen, glatten Tritten aufrichten und dann weit mit rechts über das Dach hinausgreifen. Linke Hand auch noch hoch, rechter Fuß über die Kante, dann geht’s wieder. Nach ein paar Metern erreicht man einen super guten Standplatz auf dem zweiten Band, auf dem es sogar auch zwei Biwakplätze und einen Busch gibt. Wir machen eine kurze Pause, essen einen Riegel und trinken etwas. Dann nehmen wir den berühmt-berüchtigten Maultierrücken in Angriff, der hier drohend über einem aufragt.
Die ersten Meter sind zunächst sehr gut und recht einfach zu klettern (IV), an einer Stelle dreht man sich sogar um 180° und genießt einen eindrucksvollen Blick aus den Tiefen des Kamins. Dann verengt sich der Kamin jedoch und es folgt die Schlüsselstelle an einem Holzkeil mit angehängtem Schlingenbündel. Man muss hier ein wenig nach links an Löchern in die Wand queren, um die Stelle über mehrere Seitschuppen zu überwinden – ich fand diese Stelle durchaus sehr anspruchsvoll. Die Arme waren durch die beiden Dächer auch schon ordentlich zugelaufen, sodass ich hemmungslos in die Schlingen packte. Nachdem diese unangenehmen zwei Meter (VII- oder VI/A0) überwunden sind geht es wieder besser, aber insgesamt zieht sich die Länge nochmals ganz schön. SL 13 kommt daher wie gerufen, denn sie ist kurz und einfach (IV). Nun steht man unter einer längeren Verschneidung. Diese kann in zwei Längen unterteilt werden, ist jedoch auch gut in einer langen Seillänge möglich.
In klassischer Dolomitenkletterei muss hier hinaufgespreizt werden, kurz vor dem Ende kommt noch einmal eine letzte schwere Einzelstelle. Jetzt ist der „Pilastro“ aber auch endgültig gegessen, aber hier wird es deutlich einfacher. Höchste Zeit, denn meine Arme krampfen so langsam… Von hier ab klettern wir gleichzeitig am langen Seil, erst kurz schräg nach rechts hinauf, dann in einem langen und genussvollen Quergang, der für mich das zweite Highlight darstellte, nach links in die Ausstiegsschlucht (Quergang nicht zu hoch ansetzen und deutlich unter dem gelben Wandteil bleiben).
Durch diese geht es in leichter Kletterei noch ca. 100 m nach oben, dann ist die Scharte hinter dem Pfeilerkopf erreicht. Es ist 11:50 Uhr und gemeinsam mit einer österreichischen Seilschaft, die die ganze Zeit vor uns geklettert ist machen wir Rast. Der Abstieg gestaltet sich glücklicherweise relativ unkompliziert und mündet in den Weg Nr. 403, der vom Rif. Giussani zum Rif. Dibona führt.
Erstbegehung: E. Constantini, R. Apollonio 1944
Ausgangspunkt: Parkplatz am Rif. Dibona
Zustieg: Über Weg Nr. 403 zum Einstiegsband unter dem stets deutlich sichtbaren Pfeiler aufsteigen (½ – ¾ Std.)
Einstieg: An der deutlich sichtbaren Verschneidung, die auf dem Einstiegsband ansetzt. Dorthin ca. 20 m auf dem Band hinqueren
Länge: 18 SL/ 550 mH/ 6-8 Std.
Schwierigkeit: VIII- (VI/A0)
Absicherung: Die Route ist für so einen Klassiker zwar mit ausreichend, aber überraschen vielen schlechten Haken ausgerüstet, lässt sich aber durch Friends gut zusätzlich absichern.
Abstieg: Von der Ausstiegsscharte auf mit Steinmännern markiertem Pfad kurz nach rechts, dann langer Linksquergang. An einer Stelle müssen ein paar Meter in gelbem Schotter aufgestiegen werden – hier nicht den Wegspuren nach rechts unten folgen. Der alte Abstieg ist – nachdem zwischenzeitlich mal ein neuer Abstieg mit kurzem Gegenanstieg ausgeschildert worden war – anscheinend wieder zu gebrauchen. Daher den Stein mit der Aufschrift „Exit“ ignorieren und einfach geradeaus weitergehen. Über ein Band, das auch über ein paar gebohrte Haken absicherbar ist, gelangt man rasch auf Weg Nr. 403 (½ Std.) und über diesen in einer ¾ Std. zurück zum Rif. Dibona (insgesamt 1 ¼ Std.)
Weitere Routen: 2. Pfeilerkante; VI
Tipp/ Planung: Evtl. eine Trittschlinge für die Dächer mitnehmen, ein Nachziehen des Rucksacks kann dort ebenfalls die Kletterei und die Überwindung selbiger deutlich vereinfachen.
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