Dachstein – S-Wand „Steinerweg“
Das Dachsteinmassiv, mit seinem Dreizack aus Torstein, Mitterspitz und Hohem Dachstein bietet mit seiner bis zu 700 Meter hohen und ca. 4 Km breiten Südwand, schon eine Wucht von Wand, was noch dadurch unterstrichen wird, dass das die Erhebungen ringsum deutlich niedriger sind. Kaum zu glauben, dass dort auch Wege für den Durchschnittsalpinisten hindurchführen! Der Megaklassiker ist natürlich der von den Gebrüdern Steiner 1909 erstbegangene „Steinerweg“. Den Berichten nach soll dabei sogar ein Stock zum Einsatz gekommen sein, mit dem Franz den beim legendären „Steinerband“ voraussteigenden Irg gegen die Wand drücken musste. Auch nach heutigen Klettermaßstäben bietet die Tour einen hohen Genuss- und Erlebnischarakter, sollte jedoch – und das möchte ich an dieser Stelle wirklich betonen – trotz ihres geringen nominellen Schwierigkeitsgrads nicht unterschätzt werden.
Mein Wecker klingelte um 3:30 Uhr. Schnell einen Kaffee gekocht und eine Schale Müsli gegessen, dann ab ins Auto. Auf den Straßen ist natürlich zu so nachtschlafender Stunde noch nichts los – bis ich auf die Mautstraße treffe, die hinauf zur Talstation der Dachstein Seilbahn führt. Hier trifft Auto um Auto ein – wo auch immer die plötzlich herkommen… Ich sammle meinen Bergführer Andreas (hier der link zu seiner Homepage) vor der Mautstelle ein, dann brausen wir hinauf zum Parkplatz (1692 m), wo bereits die Hölle los ist – und das um 4:30 Uhr! Sogar zwei Reisebusse sind schon eingetroffen und entladen gerade einen Haufen Fahrgäste. Schnell weg hier! Wir nehmen den Weg Nr. 615, der uns in einer halben Stunde in einem großen Linksbogen zur Dachstein Südwandhütte (1871 m) leitet. Hier ist noch alles dunkel und vor allem auch abgeschlossen – leider keine Möglichkeit, noch einmal eine Toilette aufzusuchen. Weiter geht es in Richtung Johann Klettersteig. Sehr plattig und teilweise versichert führt der Weg über plattiges Gelände in einem weiteren Linksbogen in den Sattel hinter dem Mitterstein, dem kleinen vorgelagerten Gipfel, der den Zielpunkt des „Anna Klettersteigs“ darstellt. Im Abstieg sicher ziemlich unangenehm zu begehen, daher sei jedem Klettersteigler an dieser Stelle empfohlen, nach der „Anna“ auch noch den „Johann“ dranzuhängen und lieber bequem mit der Bahn hinunter zu fahren. Nun ist es endlich auch hell geworden und mein Kopf geht immer wieder zurück in den Nacken, um zu der über uns aufragenden Wand hinaufzuschauen.
Kurz unterhalb des „Johann Klettersteigs“ verlassen wir den Weg und queren nach links hinüber zu dem gut sichtbaren Wandvorsprung, auf dem der „Steinerweg“ startet (6 Uhr). Selbst jetzt im September ist noch ein Schneefeld vorhanden und ich bin froh, dass wir die Steigeisen dabeihaben, auch wenn wir sie nur für 2 Minuten benötigen. Wir machen eine kurze Pause, die wir dazu nutzen, um etwas zu trinken und die Steigeisen anzulegen. Es sieht schon mehr als kurios aus, nachdem wir sie auf unsere Halbschuhe geschnallt haben, aber keiner von uns hat Lust hier klobige Bergstiefel mit rum zu schleppen.
Um 6:30 Uhr stehen wir schließlich hoch motiviert am Einstieg (ca. 2300 m) und Andreas startet in die erste Seillänge. Da der untere Abschnitt des „Steinerwegs“ relativ einfach ist, haben wir unsere Kletterschuhe noch im Rucksack gelassen und klettern in den deutlich bequemeren Halbschuhen.
Allerdings wird schon in der zweiten Seillänge klar, dass leichtere Seillängen eben auch eine „klassische“ Linienführung bedeuten, was im Klartext Verschneidungen und zum Teil auch Körperrisse bedeutet. Ich jedenfalls werde durch einen weiten Riss ganz schön in Verlegenheit gebracht und stopfe alles hinein, was an Körperteilen reinpasst. Ich glaube, das ist auch der springende Punkt, warum man vermeintlich leichte alpine Routen immer und immer wieder unterschätzt. Für den Kletterer von früher waren Verschneidungen und Risse das „täglich Brot“, denn sie stellen nun einmal die Schwachstellen in den Wänden dar und die Alpinisten von damals sind eben primär in solchen Routen unterwegs gewesen. Wer heutzutage in die gleichen Routen einsteigt, dem werden sie unweigerlich deutlich schwerer fallen, denn man ist eine solche Kletterei schlicht und ergreifend einfach nicht gewohnt. Routen im 3., 4. und 5. Schwierigkeitsgrad (und auch darüber hinaus) die man im Klettergarten oder in der Halle absolviert, haben mittlerweile einen komplett anderen, wesentlich plaisiermäßigeren Charakter. So war denn auch schnell ein ganzer Teil meiner Überheblichkeit, mit der ich an diese ja eigentlich von der Bewertung recht leichte Tour herangegangen war, weggespült und wurde durch eine nur zu angebrachte Demut auch einer solchen Route gegenüber ersetzt. Nach der Rissverschneidung wurde es allerdings auch wieder leichter und besser gangbar und zügig, teilweise auch am laufenden Seil, überwanden wir den untersten Abschnitt zum Plattendach.
Das Plattendach stellt den leichtesten Abschnitt der Tour dar und man macht in dem Einser- bis maximal Zweiergelände erfrischen schnell Höhenmeter. Andreas nahm mich dazu ans kurze Seil, was von der Kletterei her sicher noch angenehmer ist, als diesen Abschnitt am laufenden Seil zu klettern. Der Dachgiebel stellt dann sozusagen noch einmal einen kurzen Punkt zum Verschnaufen dar bevor es in die Quergangspassage geht und so nutzten wir diesen schmalen Sattel für eine kurze Pause. Jetzt zogen wir auch die Kletterschuhe an, denn die anspruchsvollsten Kletterpassagen kommen beim „Steinerweg“ erst im oberen Teil der Wand. Vom Giebel geht es etwas links haltend in zwei Seillängen zum Beginn des „Salzburger Bandes“ oder in drei Seillängen zum „Steinerband“.
Ich vermute allerdings, dass die meisten Seilschaften das deutlich leichtere und vermutlich auch schöner zu begehende „Salzburger Band“ wählen werden. Auch wir entschieden uns für diese Variante. Obwohl ich ursprünglich gerne die Originalroute gewählt hätte, war ich hinterher froh, diesen Weg genommen zu haben, denn das „Salzburger Band“ bietet eine geniale Mischung aus totaler Ausgesetztheit bei gleichzeitig nur geringen Schwierigkeiten, die es sogar erlaubten, die zwei Quergangsseillängen am laufenden Seil zu absolvieren.
Am Ende des Bandes weist ein roter Pfeil nach links – anscheinend hat es hier schon öfter Verhauer in das zentrale Kaminsystem, das einen ganzen Grad schwieriger als der „Steinerweg“ ist, gegeben, sodass man diese Maßnahme für nötig erachtet hat. Trotzdem – es bleibt befremdlich, in einer klassischen, alpinen Route Wegmarkierungen zu finden.
Nun folgt der „Steinerkamin“. Dieser stellt für mich die eigentliche Schlüsselstelle der Route dar und ich habe ihn deutlich schwerer empfunden, als die offizielle Schlüsselstelle „Schluchtüberhang“. Sicher eine Frage der Routine, aber die glatten Kamin- und Verschneidungswände waren durchaus anspruchsvoll auszuspreizen, sodass ich froh war, am Ende dieser Seillänge anzukommen. Jetzt wurde es wieder leichter und wir nahmen am langen Seil kletternd wieder ganz gut Fahrt auf.
Einzig am „Schluchtüberhang“ kletterten wir noch einmal in klassischer Standplatzsicherung. Warum hier Bewertungen von bis zu 5+ im Netz zu finden sind kann ich nicht ganz verstehen. Die Schwierigkeiten dieser Seillänge konzentrieren sich auf die ersten 5 Meter und bestehen hauptsächlich darin, dass diese sehr steil und damit sehr ausdauernd sind. Da das aber eigentlich vom Standplatz schon relativ klar ersichtlich ist, kann man sich darauf ja einstellen und diese ersten Meter zügig hinter sich bringen. Danach wird es auch wieder einfacher wobei die originellste Stelle ganz am Ende der Seillänge kommt. Die letzten Meter führen nämlich über eine mit Wasserrillen durchzogene Platte und stellen innerhalb dieser Route eine Besonderheit dar.
Wer bis hierhin gelangt ist, kann sich dann entspannen, denn von dort an wird die Route deutlich leichter und so fassten wir die letzten drei Seillängen am langen Seil zusammen und erreichten den Westgrat um 10:50 Uhr (ca. 2950 m).
Von diesem Punkt waren es dann vielleicht noch einmal 10 Minuten bis auf den Gipfel. Leider hatte sich gerade eine Wolke am Gipfel (2996 m) festgehängt, sodass nur wenig zu sehen war. Wir aßen und tranken etwas und begannen dann den Abstieg über den stahlseilversicherten Ostgrat. Dieser kam mir irgendwie trotz der nur 250 Höhenmeter bis zum Gletscher doch recht lang vor. Auf dem Gletscher angekommen ging es dann aber doch recht schnell voran und ca. 1 Stunde nach unserem Aufbruch vom Gipfel langten wir an der Gipfelstation der Seilbahn an. Um 12:30 Uhr schwebten wir bereits mit der Bahn nach unten und schauten zurück zur Dachstein – Südwand. Das wir noch vor 2 Stunden dort gewesen waren – irgendwie unwirklich…
Erstbegehung: Franz und Georg Steiner, 22.09.1909
Ausgangspunkt: Parkplatz an der Talstation der Dachstein-Seilbahn
Zustieg: Über Weg Nr. 615 bis zur Dachstein Südwandhütte (½ Std.). Von dort über schmalen Pfad weiter in Richtung „Johann Klettersteig“. Ungefähr in Höhe des Wandvorsprungs den Weg verlassen und nach links hinüber zum Schneefeld und über dieses hinweg auf den Wandvorsprung queren (1 – 1 ½ Std. von der Südwandhütte).
Einstieg: Am obersten linken Ende des Wandvorsprungs an einer seichten Verschneidung (Bohrhaken mit durchgefädelter Prusikschlinge)
Länge: 25 SL/ 700 mH/ 6-8 Std.
Schwierigkeit: V-
Absicherung: Die Route ist durchgehend, allerdings nicht in plaisiermäßigen Abständen mit Bohrhaken gesichert, außerdem steckt auch an jedem Standplatz ein Bohrhaken. Davon abgesehen ist nicht viel weiteres, verwertbares Material vorhanden, es kann aber zumeist gut mit Friends zusätzlich abgesichert werden.
Abstieg: Über den „Schulter Klettersteig“ über den Ostgrat hinunter auf den Gletscher und auf breiter Spur über diesen hinüber zur Gipfelstation der Dachstein Seilbahn (1 – 1 ½ Std.). Sollte man die letzte Seilbahn verpassen, kann man auch über den „Hunerscharten Klettersteig“ und den Weg 615 zum Parkplatz an der Talstation absteigen (1 ½ – 2 Std.). In die Hunerscharte zum Beginn des „Hunerscharten Klettersteigs“ gelangt man entweder absteigend über den Gletscher oder über einen kurzen Klettersteig von der Seilbahnstation (direkt am Ausgang über das Geländer steigen).
Weitere Routen: „Pichlweg“; IV
Tipp/ Planung: Das größte Fragezeichen war für mich das Einstiegsschneefeld. Eigentlich hatte ich gehofft, dass dieses abgetaut sei, da wir die Tour am Ende der Sommersaison durchführten (22.08.2021). Dies war aber nicht der Fall und so sollte man sich besser auch nicht darauf verlassen, denn ich weiß nicht, ob ich mich ohne Steigeisen auf dieses doch ausreichend steile Schneefeld gewagt hätte. Zumindest aber würde man kostbare Zeit mit Stufenschlagen vertun. Es macht also absolut Sinn, die aktuellen Verhältnisse im Bergführerbüro nachzufragen. Bei vorhandenem Schneefeld kann ich unsere Taktik empfehlen, Steigeisen mitzuführen aber trotzdem Halbschuhe zu tragen. Für das kurze Schneefeld kann man die Steigeisen auch mal kurz auf Halbschuhe schnallen und für den Abstieg über den Gletscher braucht man sie ohnehin nicht mehr. Einen Pickel braucht man meiner Meinung nach nicht. Ich hatte einen Wanderstock dabei, dieser ist wesentlich leichter und hilft zur Stabilisierung auch sehr gut. Die Tour solle in ihrer Schwierigkeit nicht unterschätzt werden – ein vierter Grad im Alpinen ist und bleibt eben eine andere Hausnummer als im Klettergarten. Im Zweifelsfall lieber einen Bergführer engagieren und die Tour dadurch umso mehr genießen können!
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